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Situation der Weiterbildungsassistenten für Allgemeinmedizin in Europa

von Marion Kurzweil (Ärztin in Weiterbildung für Allgemeinmedizin, Berlin)

In diesem Land sind wir so sehr damit beschäftigt, unsere eigene versalzene Suppe zu kochen, daß wir die großartigen Aktivitäten und Bemühungen außerhalb leider gar nicht mitbekommen. Oder kennen Sie WONCA, die World Organization Of Familiy Doctors? WONCA Europe stellt den europäischen Teil der Organisation dar und zählt ca. 400 direkte Mitglieder. Sie versteht sich als eine akademisch-wissenschaftliche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmediziner und befaßt sich mit der globalen Zusammenarbeit und Verbesserung der Lebensbedingungen – siehe www. WONCAeurope.org.


Die Vasco de Gama - Bewegung ist die Arbeitsgruppe der europäischen WONCA für junge und zukünftige Allgemeinmediziner. Verschiedene Themengruppen und Arbeitskreise befassen sich europaweit mit Austauschprogrammen, Zusammenarbeit und gegenseitigem Kennenlernen der jungen Kollegen. In Deutschland erfährt man kaum etwas darüber! Da muß sich dringend etwas ändern. Deshalb berichte ich von der 12. wissenschaftlichen Konferenz spanischer Weiterbildungsassistenten für Allgemeinmedizin (XII Jornadas de Residentes de la semFYC) in Logroño, Spanien vom 8.-9. Mai 2008. Mit 11 weiteren jungen europäischen Kolleginnen (darunter immerhin ein männlicher Kollege) aus Holland, Italien, Estland, Polen, Tschechien und Kroatien durfte ich auf Einladung von Vasco da Gama nach Logroño mitten ins Rioja-Weingebiet reisen und erfuhr viel Neues über die Lage der Weiterbildungsassistenten in den anderen Ländern Europas.

Spanischer Arbeitsalltag
Nach einem langen Begrüßungsabend wurden wir Gesundheitszentren der Stadt zugeteilt und durften einem dort beschäftigten Allgemeinmediziner über die Schulter schauen. Allgemeinmediziner in Spanien sind zumeist angestellt in solchen „Centros de Salud“ zusammen mit mehreren anderen Ärzten derselben und anderer Fachrichtungen. Die Patienten werden zumeist im 5-Minuten-Abstand vorbestellt. Eine kleine Notfallambulanz behandelt die Akutfälle.
Der Arbeitstag beginnt recht entspannt. Einer der Kollegen hält für alle Assistenten und Fachärzte einen Vortrag über ein relevantes Thema, diesmal COPD. Nach einem Käffchen nebst nettem Pläuschchen geht es an die Arbeit. Der Papierkrieg wird von den Ärzten allein bewerkstelligt. Schwestern übernehmen allgemeine Fragebögen, Blutabnahmen, Verbände, Spritzen und Impfungen. Die Arbeit unterscheidet sich ansonsten nicht allzusehr von unserer. Etwas befremdlich erschien mir, daß Antibiotika in Spanien extrem oft zum Einsatz kommen.

Gleich am ersten Kongreßtag lief ich an einer langen Posterwand entlang. Viele interessante Falldokumentationen und Forschungsarbeiten zumeist spanischer Assistenten zeigten, daß man sich in diesem Land offensichtlich für Aus- und Weiterbildung engagiert.
Sara del Olmo Fernández, Hauptorganisatorin unseres Zusammentreffens und Assistenzärztin der Allgemeinmedizin in Madrid berichtete über die Vasco da Gama-Bewegung, deren Ziele und Aufgabenbereiche. Diese Arbeitsgruppe junger Allgemeinmediziner der europäischen WONCA hat will ein länderübergreifendes Austauschprogramm zukünftiger Hausärzte intensivieren und ausbauen: „Wie können wir von einander lernen, das Fachgebiet attraktiver gestalten und unseren Horizont erweitern?“ Außerdem wurde das Austauschprogramm der EURACT (European Academy of Teachers in General Medicine, www.euract.org) „Hippokrates“ vorgestellt. Bisher sind 10 europäische Länder beteiligt. Deutschland sucht man dabei vergebens. Mit einem Verweis auf die niederländische Seite www.LOVAH.nl, wo wichtige Hinweise und links für sämtliche nationale als auch europäische GPs in training zufinden sind, endete der Vortrag.
Bei der offiziellen Kongreßeröffnung gab man den Ärzten in Ausbildung wiederholt das Gefühl, daß sie wichtige Aufgaben in diesem Land erfüllen, ihre Arbeit in vielerlei Hinsicht eine bedeutende und sinnvolle sei, Weiterbildung wichtig sei und man in Zukunft auf sie baut. Irgendwie fühlte ich mich da wie ein Besucher von einem anderen Stern.
Am zweiten Kongreßtag konnten wir zwischen vielen verschiedenen Vorträgen auswählen. Die Themen waren spezifisch auf die Ausbildung der Allgemeinmediziner zugeschnitten! Z.B. bot man einen Querschnitt durch die Dermatologie, Insulinmanagement, ein Notfallseminar oder gar ein „McGyver – Seminar“ zur Bewältigung von Notfallsituationen ohne spezielle medizinische Hilfsmittel.

Irland
Über seine Erfahrungen in Irland berichtete ein Kollege und machte dabei deutlich, daß er eine relativ entspannte Arbeitsweise vorfand. Die irischen Ärzte haben im Gegensatz zu den spanischen Kollegen länger Zeit für die Behandlung der Patienten und damit die Möglichkeit eingehenderer Untersuchungen.

Bei einem Seminar unserer europäischen Delegation gab es einen intensiven Austausch von Informationen und Erfahrungen über die Ausbildungssysteme in den jeweiligen Ländern. Deutschland war dabei das einzige Land ohne zentral geleitetes klares Rotationssystem und mit vergleichsweise deutlicher Überlänge der Ausbildung.

Tschechien
Nach 6 Jahren Universität folgen 4 Jahre Facharztausbildung. Davon müssen 2 Jahre in der Klinik durchlaufen werden und 2 weitere in der Praxis. Diese 4 Jahre sind als Rotation vorgegeben. Regionale Unterschiede gibt es in der Umsetzung der Programme und der Menge von Diensten, welche zumeist in der Rettungsstelle der Krankenhäuser abgeleistet werden müssen. Die Bezahlung ist im Allgemeinen schlecht. Am Ende der Ausbildung gibt es ein dreiteiliges Examen aus Theorie, praktischen Fähigkeiten und mündlicher Prüfung. Wegen Abwanderung vieler Kollegen besonders nach England versucht man eine Abwerbung aus den Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens.

Polen
Ähnlich wie in Tschechien dauert die ebenfalls zentral organisierte Facharztausbildung nach 6 Studienjahren weitere 4 Jahre, 2 sind im Klinikbereich und 2 weitere im ambulanten Sektor vorgesehen. Das Gehalt läßt ebenfalls zu
wünschen übrig. Jedoch bieten sich Zusatzverdienstmöglichkeiten in privaten Praxen nach der regulären Arbeitszeit. Auch Polen hat Probleme, den eigenen Bedarf an Ärzten wegen Abwanderung von Kollegen ins Ausland zu decken. Auch viele polnische Kollegen bevorzugen die englischsprachigen Regionen, nicht zuletzt aufgrund der sprachlichen Problematik.

Holland
Vom niederländischen System können wir alle nur lernen. 4 Kollegen berichteten mit Stolz von 3 straff und gut organisierten Jahren der Weiterbildung mit motivierten Ausbildern, welche für ihren zusätzlichen Aufwand auch bezahlt werden. Die Regierung übernimmt die Finanzierung. Die Organisation wird von den Universitäten geleitet. Nach dem 1. Jahr im ambulanten Sektor folgt ein klinisches mit verschiedenen Rotationen in Innerer Medizin, Rettungsstelle und Psychiatrie. Im letzten Jahr darf man zwischen verschiedenen Ausbildern im ambulanten Bereich wählen. Einen Tag pro Woche trifft man sich mit einer Gruppe von bis zu 15 Weiterzubildenden in der Universität zum Seminar mit Informationsaustausch bezüglich Arbeitsweisen in der Praxis, Umgang mit bestimmten Patienten und Fallbeschreibungen. Alles wird medizinisch und psychologisch von einem der jeweiligen Ausbilder unterstützt. Alle 6 Monate kontrolliert man den sogenannten Ausbildungserfolg mittels eines Examens. Die Assistenten können sich alle relevanten Informationen bezüglich Aus- und Weiterbildung aktuell auf der eigens für sie eingerichteten Website der LOVAH anschauen. Sie sind damit immer auf dem neuesten Stand, miteinander vernetzt und werden über alle zukünftigen Aktivitäten umgehend in Kenntnis gesetzt.

Italien
Die Weiterbildung in Italien beläuft sich auf 3 Jahre und wird von Region zu Region unterschiedlich organisiert. Die grobe Aufteilung enthält dabei einen ambulanten Praxisteil von 1 Jahr mit anschliessender Rotation in relevanten Klinikfächern wie Innere, Gynäkologie, Pädiatrie, Geriatrie, Rettungsstelle und Chirurgie. Meist wird zusätzlich eine Versorgung der ländlichen Regionen für ein weiteres Quartal angestrebt. Die Kollegin aus Florenz berichtete von 12 Arbeitsstunden täglich, einer Bezahlung von 800 Euro monatlich, wenig Freizeit, hoher Arbeitsbelastung und zusätzlichen Diensten am Wochenende. Ein Kollege aus Verona konnte dies allerdings für sich nicht bestätigen.

Kroatien
Die kroatische Kollegin berichtete von 3 zentral organisierten Jahren der Rotation in Klinik, Rettungsstelle und ambulanten Versorgungszentren mit schlechter Bezahlung, an deren Ende ein an Schweregrad völlig übertriebenes dreiteiliges Examen steht. Die Arbeitszeiten überschreiten oft die Belastungsgrenzen. Viele Kollegen suchen nach Beendigung der Weiterbildung schnellstmöglich das Weite. Korruption und politisches Desinteresse behindern eine Umstrukturierung und damit eine angemessene Arbeitsweise.

Spanien
Nach 6 Jahren praxisfernen Studiums gibt es ein Punktevergabesystem. Denjenigen, welche am schlechtesten beim Examen abgeschnitten haben, bleiben nicht viele Auswahlmöglichkeiten. Die meisten dürfen sich mit 4 Jahren Allgemeinmedizin zufrieden geben. Man kämpft nach wie vor hart um die gleichberechtigte Anerkennung des Fachgebietes Allgemein- und Familienmedizin nicht nur bei den Kollegen, sondern auch innerhalb der Bevölkerung. Es fehlt dafür auch an Lehrstühlen. Die Ausbildung teilt sich in 2 Jahre Klinikrotationen und anschließend 2 weitere Jahre Rotationen in „Versorgungszentren“ mit bis zu 6 Diensten monatlich, welche relativ gut vergütet werden. Einmal pro Monat treffen sich die Assistenten zur gemeinsamen Weiterbildung. Wöchentliche Weiterbildungen finden in den jeweiligen Zentren seitens der Weiterbilder statt. Beklagt wurde der Zeitmangel zur umfangreichen Patientenbetreuung.

Türkei
Die Kollegin schien hoch motiviert, ihr immerhin zentral organisiertes dreijähriges Rotationssystem zu verbessern. Arbeitsaufwand, Gehalt, Ausbildung und Annerkennung der Leistung sowie des Fachgebietes stehen in keinem realistischen Zusammenhang.

Natürlich kümmerten sich die fiestagerüften Spanier auch um den geselligen Teil des Tages, und so zogen wir am Abend mit den Residentes von einer überfüllten Tapasbar zur nächsten.

Fazit
Probleme gibt es überall. Es kommt nur darauf an, wie man sie lösen möchte und ob überhaupt. Ist man bereit für Hilfestellungen?
Austausch bleibt weiterhin wichtig, nicht zuletzt um zu lernen, Fehlern vorzubeugen, Toleranz zu entwickeln. Das sind keine neuen Erkenntnisse. Wir sollten einfach anfangen, dies zu begreifen. Vieles läßt sich auf unsere Aus- und Weiterbildung übertragen. Der Appell geht an die diesbezüglichen Verantwortlichen in diesem Land. Wir brauchen dringend ein geregeltes Rotationssystem mit realistischer Weiterbildungszeit und motivierten, fähigen Ausbildern. Besonders die Holländer beweisen, daß eine gute Zusammenarbeit zwischen staatlich gelenkten Institutionen, Universitäten und Weiterzubildenden ein zufriedenstellendes Ergebnis hervorbringen kann.
Es ist für uns Deutsche schon etwas beschämend, als einziges Land von keinem sinnvoll funktionierendem Rotationssystem berichten zu können. Wie sollen wir unsere Probleme lösen, wenn nicht der Nachwuchs gezielt gefördert und motiviert wird? Unsere so toll ausgebildeten deutschen Mediziner werden im Ausland damit längst in Frage gestellt und belächelt. Das sollte sich dringend ändern.




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