Der Krieg, den der Opfertod der Gens Fabia nicht hatte bannen können, rückte bedrohlich nahe. Dazu kamen verheerende Krankheiten, erschreckende Himmelserscheinungen sowie Erdbeben und Vulkanausbrüche. Jedermann glaubte, die Stunde des Weltunterganges sei nahe.
Sollte nicht alle Ordnung zusammenbrechen, so blieb nichts übrig, als in Rom den Notstand auszurufen. Nur ein Diktator, so wusste man, würde die Lage meistern können, und nur von einem einzigen Mann erhoffte man sich Rettung. Dieser Mann, den man in die hohe Machtstellung berief, war Quinctius Cincinnatus, ein echter Bürger von altrömischer Art, von jedermann wegen seiner Rechtlichkeit hoch geachtet. Und alle hatten die Hoffnung, daß bei ihm die uneingeschränkte Amtsgewalt in rechten Händen liegen werde.
Er war patrizischer Herkunft, aber er hielt es nicht für unter seiner Würde, mit eigener Hand den kleinen Landbesitz, den er ererbt hatte, zu bewirtschaften.
Als die Senatsboten bei ihm eintrafen, fanden sie ihn beim Pflügen seines Ackers. „Einen wichtigen Staatsauftrag haben wir auszurichten“, sagten sie; „leg die Toga an, wie es der Würde der Stunde entspricht!“
„Steht es etwa nicht gut um den Staat?“ fragte er besorgt. Und dann rief er seiner Frau zu, die in der einfachen Hütte ihren Pflichten nachging: „Bring mir sogleich die Toga herbei!“
Mit dem Arbeitskittel wischte er sich Staub und Schweiß aus der Stirn, legte dann die Toga an und trat vor die kurulischen Gesandten: „Jetzt sehe ich bereit, eure Aufträge zu hören, ihr Quiriten!“
Da hoben sie die Hände zum Heilruf und begrüßten ihn als Roms Diktator: „Im Auftrage der Konsuln überbringen wir Dir Deine Berufung in das höchste Amt des Staates. Rom erblickt in Dir seinen Retter, der uns von der drohenden Gefahr befreien wird!“
„Mich verlangt nicht nach Ehre und Macht“, wollte der bescheidene Mann abwehren. Aber die Gesandten ließen seinen Einwand nicht gelten. „In | | dieser Stunde der Not“, erklärten sie, „erwartet das Vaterland von Dir Treue und Opferwillen.“
Da stimmte er zu, ließ sich von den Liktoren nach Rom führen und übernahm die Amtsgewalt.
Sogleich traf er die erforderlichen Maßnahmen, stellte Wachen aus, ließ die Krambuden schließen und befahl Prozessfrieden. Er ließ Truppen ausheben und hatte in aller Kürze ein schlagkräftiges Heer unter seinem Befehl. Da wagten die Sabiner, die Roms Grenzen bedrohten, keine Schlachtentscheidung und zogen sich kampflos zurück. Cincinnatus führte seine Truppen sogleich gegen die Aequer, denn die Lage hatte sich inzwischen bedrohlich zugespitzt: einer der römischen Konsuln war mit seiner Heeresabteilung vom Feind eingekreist worden. In er Nacht traf der Diktator eine kühne Maßnahme: rings um die Aequer, die seine römischen Landsleute eingeschlossen hielten, ließ er einen Zaun aus Schanzpfählen errichten, die die Legionäre mit sich führten. So nahm er den Feinden das Gesetz des Handelns, denn nun sahen sie, die den Gegner einschließen wollten, sich selber eingekreist und mussten nach zwei Seiten kämpfen. Nach seinem klugen Plan errang der Diktator einen glänzenden Sieg. Wieder einmal war Rom aus einer drohenden Gefahr gerettet. Als Cincinnatus, von den Römern jubelnd begrüßt, zum Marktplatz zog, waren erst sechzehn Tage vergangen, seit er die Diktatur übernommen hatte. Er hob den Arm, um Ruhe zu gebieten, und unter dem achtungsvollem Schweigen seiner Mitbürger sprach der schlichte, bescheidene Mann nur wenige Worte: „Der Auftrag, zu dem mich das Vertrauen des Volkes berufen hat, ist erfüllt“, erklärte er; „so lege ich die Amtsgewalt in die Hände der Konsuln zurück.“
Das war eine echte Römertugend. Dem rechtlichen Mann ging es nicht um die Macht, die man ihm übertragen hatte. Er dachte nicht daran, sie für seine Person zu beanspruchen und länger zu behalten, als es der Auftrag erforderte. Nur im Dienste seiner Vaterstadt wollte Cincinnatus handeln.
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